Typ 4


Die Geschichte

Stell Dir nun vor, dass Du ein ganz besonderer Mensch bist. Das macht Dich auch einsam. Du fühlst Dich, als seist Du gleichzeitig der Allerbeste und der Allerschlechteste. Dazwischen ist nichts. Wie eine schöne Blume, die abgeschnitten, kunstvoll arrangiert, in einer Vase steht.

Stell Dir jetzt vor, Du begegnest einem Menschen, der Dich sehr anzieht. Ein besonderer Mensch, einer, von dem Du Dich wirklich verstanden fühlst. Endlich: daß es so etwas gibt. Alles ist ganz spontan. Du bist überglücklich. Die Herzen fließen ineinander. Geschenke werden ausgetauscht, die von tiefer Bedeutung sind. Liebende Blicke bauen Vertrauen auf. Du fühlst Dich vital und lebendig. Wie ein knisterndes Feuer – Extase und Sexualität.

Doch irgendetwas stimmt nicht. Die Banalität des Alltags schiebt sich zwischen Euch. Die geliebte Person wendet sich ab. Die Katastrophe ist wieder einmal da. Dir bricht das Herz. Aus den Scherben machst Du ein Kunstwerk. Es ist wunderschön.

Wenn Dir die Beschreibung nichts sagt: weit weg vom eigenen Typus. Begreife an diesem Punkt, wie schwierig es ist, die Persepktive der anderen zu verstehen.Wir verstehen nicht, wie der andere tickt.

Das Interview

Gibt es irgendetwas, was Dir an dieser Geschichte vertraut ist?
Es ist wirklich eine ganze Menge drin. Mir ist aufgefallen, dass ich an Menschen ganz stark wahrnehme, ob sie besonders sind und dass ich in meiner Jugend ganz stark auf Leute abgefahren bin, die ich besonders fand, ohne überhaupt benennen zu können, worin das Besondere lag, aber sie mußten besonders sein. Was außerdem vertraut war in der Geschichte ist das Gefühl der Herzensverbindung zwischen uns. Die Herzen fließen ineinander, das ist ein Kernsatz für mich. Außerdem das mit den Blicken, gesehen werden ist für mich ganz wichtig. Beispielsweise einen bedeutungsvollen Blick zugeworfen zu bekommen, da gibt es Blicke, die liegen Jahre zurück, an die ich mich noch ganz genau erinnern kann.

Es war also zumindest früher sehr wichtig für Dich, dass Menschen besonders waren, da bist du gefühlsmäßig sehr darauf angesprungen. Ist es auch für Dich wichtig, daß Du besonders bist?
Ich habe das Gefühl, daß ich durch die Verbindung mit diesem Menschen auch besonders sein wollte, das war eigentlich sogar das Hauptmotiv dahinter. Dem lag sicherlich das Gefühl zu Grunde, daß ich so, wie ich bin, nicht gut genug bin oder nicht genüge. Manchmal, wenn Leute sich nicht weiter für mich interessiert haben oder mir nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt haben, war mein erster Gedanke: ” Ich bin nicht interessant genug “.

Ich brauche viel Aufmerksamkeit, wenn ich sie nicht bekomme, empfinde ich eine Variation des Themas “Ich genüge nicht”. Aber wenn ich besonders bin oder mich mit jemand Besonderem verbinde und es diese Verschmelzung gibt, dann genüge ich vielleicht?
Ja, das geht sogar soweit: “Dann darf es mich geben, dann ist es in Ordnung, daß es mich gibt.”

Das macht ” besonders sein” sehr existentiell. Was hast Du alles getan, um besonders zu sein?
Ich erinnere mich hauptsächlich an das, was ich falsch gemacht habe. Das spricht ja jetzt auch Bände. Ich erinnere mich vor allen Dingen an die Situationen, wo ich mit dem Gefühl zurückgeblieben bin: ” Hier habe ich es nicht geschafft “.

Besonderheit in eine negative Richtung?
Ja, hier gehöre ich nicht dazu, ich bin das schwarze Schaf oder ich schaffe es einfach nicht, hier richtig dazustehen. Ich kann mich abzappeln, wie ich will. Andererseits habe ich mir an der Uni einen Lehrer, einen hyperintellektuellen Fünfermann, gesucht, den ich sehr verehrt habe, und ich wollte, daß er mich auch als besonders wahrnimmt. Der hat mich als besonders wahrgenommen und es hat mich zu unglaublichen Höhenflügen angespornt, für die ich sonst die Energie vielleicht gar nicht gehabt hätte. Ich wollte ihm zu Gefallen wirklich ein fantastisches Examen machen, fantastische Arbeiten schreiben, die ich ihm auch zur Ansicht rüberreichen könnte und an denen er dann Spaß hätte.

Es mobilisiert eine Menge Energien, als besonders wahrgenommen zu werden, aber die Befürchtung ist, als negativ besonders angesehen zu werden?
Ja. Was ich auch gemacht habe, um besonders zu sein: ich habe viele Gaben entfaltet, die ich habe, also zum Beispiel Geige gespielt, auch tausend Hobbys gepflegt: Ich habe mich da sehr getreten, in vielem gut zu werden, aber eher, um das Gefühl zu kriegen, ich gehör hier zum Klub oder ich darf hier mitspielen.

… so ein Gegenanarbeiten gegen den Platzverweis, der befürchtet wird? Und nur wenn ich in dieser Weise besonders bin, meine Gaben in besonderer Weise entfaltet habe, dann darf ich dazugehören.
Ja, nur dann nehmen die mich als gut genug.

Und die andere Hälfte der Fantasie ist: ” Ich bin das schwarze Schaf in der Herde, ich falle in negativer Weise als besonders auf und daher vom Rand des Universums herunter. ” Was ist mit dem Zwischenbereich, wenn Du einfach ein Schaf unter vielen in der Herde wärst?
Das ging lange Zeit nur, wenn die ganze Herde zusammen etwas Fantastisches produziert.

.. wenn es alle Superschafe sind oder alle schwarz sind?
Soweit bin ich nicht gegangen, aber Superschafe, das war schon gut, zum Beispiel im Orchester oder im Chor: wenn wir alle zusammen einen fantastischen Sound produzierten oder ein Werk aufführten, das uns niemand zugetraut hätte, dann ist es mir gut gegangen und dann war es mir auch recht, daß ich dazu nur einen kleinen Teil beigetragen hatte.

Innerhalb der Riege der außerordentlichen Menschen ist es in Ordnung, ein Teil zu sein. Wenn man es einmal in Schulnoten ausdrückt, haben wir nun über eine 1 oder eine 6 gesprochen, was ist mit dem Durchschnittsbereich, mit einer 3?
(stöhnt) Ich merke richtig, dass es fast so ist als dürfte es das nicht geben. Wenn ich zurückschaue, habe ich diese Dreiersituation oft unbewusst aber sehr effizient vermieden, und sich zurückzuziehen und einfach nur eine Arbeit zu schreiben an der Uni oder so, das galt auch nur, solange diese Arbeit dann später als besonderes Ergebnis dastehen sollte.

Es muss sichtbar gemacht werden, gesehen werden?
Wenn es ein paar Wenige sehen, die etwas davon verstehen, das reicht, aber die müssen etwas davon verstehen. Wenn die das gut finden, dann reicht das, das ist Ok. Ich glaube aber, dass ich diesen Bereich 3, Durchschnitt, befriedigend, gar nicht so kenne und überlege gerade, wie ich ihn noch vermeide. Wenn ich zum Beispiel ein Projekt einfach zu Ende bringen soll, da mache ich mir alle möglichen Gedanken, da fällt mir etwas aus der Vergangenheit ein, dann kann ich melancholisch werden, oder ich träume mir etwas zusammen, was in Zukunft passieren wird, aber ich bin nicht im Hier und Jetzt. Ich gehe nach hinten oder vorne in der Zeit, aber ich bleibe nicht in der Gegenwart.

Kann man sagen, Du malst Dir aussergewöhnliche Welten aus, um Normalität, Durchschnitt zu vermeiden?
Diese Welten hat es schon auch gegeben. Ich erinnere mich dann eher an gefühlsintensive Augenblicke aus meinem Leben, entweder frohe oder traurige, aber nicht mittlere.

Du vermeidest die Gegenwart, indem Du in frohe oder traurige Erinnerungen gehst. Gehst Du überwiegend in die Vergangenheit oder auch in die Zukunft?
Beides, aber eigentlich mehr in die Vergangenheit.

Kannst Du über das Gefühl von Verlassenheit sprechen. Es ist wohl ein Hauptgefühl der Vieren?
Wieviel Zeit hast Du? Verlassenheit ist sicherlich das größte Angstwort für mich, mit dem Wort ist etwas wie Todesangst verbunden. Das hängt sicher auch an meiner Kindheitsgeschichte, dass ich wirklich schon als wenige Tage altes Kind solche sehr massiven Erfahrungen zwischen Leben und Tod gemacht habe. Es gibt Situationen, in denen eine so starke Todesangst aufkommt: ” Wenn dieser Mensch mich verließe…., wenn ich den nicht mehr hätte…., wenn ich hier auf einmal alleine wäre……” . Manchmal komme ich mir dabei sehr kindlich vor, weil ich denke, als erwachsene Frau kann ich ja wirklich ganz gut für mich sorgen und mein Lebenslauf zeigt, daß ich das bisher auch immer konnte.

Aber der Moment des Verlassenwerdens fühlt sich lebensbedrohlich an?
Total.

Was würdest Du dann machen mit der Person, die Dich verläßt?
Die erste Reaktion ist Klammern: “Du kannst mich nicht verlassen, du kannst und darfst das jetzt nicht tun”. Das ist das Gefühl, hundertprozentig von dieser Person abhängig zu sein. Klammern und das Gefühl, der Situation völlig wehrlos und absolut als Opfer ausgeliefert zu sein, und ich kann dann eigentlich nur anfangen, wie wild zu rudern und mich wahnsinnig anzustrengen. Wenn es zum Beispiel um einen Konflikt geht und ich Angst habe, dass der andere den Kontakt abbricht, da strenge ich mich unmenschlich an, um diesen Konflikt mit diesem Menschen zu lösen, aus lauter Angst, verlassen zu werden. Ich suche noch nach konstruktiven Lösungen, obwohl es eigentlich dran wäre zu sagen: “Du verdammtes Arschloch, hau endlich ab und laß Dich hier eine Woche nicht mehr sehen”.

Wenn jemand geht, scheint es überlebenswichtig, ihn in die Beziehung zurückzuholen. Wir sagen von Vieren , Ihr hättet einen push-pull -Stil in Beziehungen (Wegstoßen und Anziehen). Wir hören von Dir gerade mehr den pull- Teil (das an sich Ziehen des Partners). Gibt es Beispiele für den Push-Teil, wo Du Leute, die mit Dir in Beziehung sein wollen, eher wegstößt?
Der push- Teil ist bei mir wirklich nicht so stark, aber ich glaube, daß ich manchmal Leute, die mir wohlgesonnen sind und die wirklich für mich da wären, nicht besonders gut behandle. Ich kann auch sehr gedankenlos sein und nur um mich kreisen und dieses Angebot dann von jemand anders gar nicht so wahrnehmen. Aber ich kenne von mir mehr den pull-Teil, vielleicht auch,weil ich überwiegend mit Fünfer- Männern zusammen war, weil man bei ihnen sicher sein kann, daß sie auch wieder von einem ablassen.

Du hast gesagt, daß das Ineinanderfließen der Herzen sehr wichtig ist. Wir ordnen die Vieren ja auch den Herztypen zu. Wie gehst Du mit Gefühlen um?
Ich reagiere normalerweise sehr stark auf das meiste, was ich erlebe, sobald es meine Gefühle anspricht, und das tut eigentlich vieles. Ich reagiere dann sehr stark, positiv wie negativ. Ich kann sehr gehässig werden über Leute, die mich sehr negativ berühren, ich kann dann wirklich sehr sehr boshaft werden. Ich kann sehr unmittelbar reagieren. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, meine Tränen nicht zu weinen. Ich weine sehr schnell auch in Situationen, wo andere Leute das nicht tun würden, weil man in dieser Umgebung nicht weinen darf. Es zieht mich alles an, was Gefühle auslöst.

Starke Gefühle nach allen Richtungen. Angenommen, Du wärst in einem starken Gefühl von Schmerz und jemand, zum Beispiel ein Partner, würde versuchen, Dir da heraus zu helfen, wie bist Du dann?
Wenn jemand sagt : “Ach, das ist doch gar nicht so schlimm “, oder auch nur irgendetwas in dieser Richtung, dann habe ich das Gefühl, ich darf nicht so sein, ich darf jetzt nicht weinen, der kann das nicht haben. Ich werde dann noch trauriger, weil es mich so nicht geben darf. Es drückt den alten Knopf von ” Du darfst nicht so sein ” und dann ist es nur ein ganz kleiner Schritt zu ” Du darfst nicht sein, ich will dich nicht “. Da steckt sehr viel Abwertung drin, wenn jemand meinen Schmerz nicht einfach gelten läßt. Es würde völlig ausreichen, wenn er andere das anerkennt ” Du bist jetzt einfach traurig, soll ich Dich in Ruhe lassen, oder sollen wir uns für einen späteren Zeitpunkt verabreden und darüber reden “, das würde mir helfen.

Ist Dein Ratschlag an Partner oder Freunde, daß da auch ein Stück Distanz eingebaut werden muß?
Ich kann das nicht gut haben, daß sich dann jemand auf mich stürzt, wenn es mir nicht gut geht.

Du machst dann diese wegstoßende Handbewegung?
Ja, da kriege da Angst, daß derjenige sich irgendwie an mir bedient, daß er zum Beispiel jetzt demonstrieren möchte, wie wichtig er für mich ist, daß er mich gar nicht ernst nimmt.Wobei ich es schon toll finde, wenn jemand, dem ich vertraue und bei dem ich mich wirklich wohl fühle, sagt: ” soll ich Dich mal in den Arm nehmen? “. Das ist Musik in meinen Ohren, dann sag ich jaaaaaa. Und dann heule ich mal einen Moment an der Schulter, und dann ist es wieder gut. Und dann kann ich den Schmerz auch besser loslassen, dann muß ich ihn nicht so lange festhalten.

Wir haben jetzt einige der grundlegenden Lebensthemen besprochen. Fehlt etwas?
Ja. Die Bedeutung von Schönheit. Schönheit ist mein Thema. Design oder nicht sein. Dinge müssen schön sein. Es reicht allerdings, wenn es eine Art von Schönheit ist, die nur ich verstehe, es muß nicht eine nach außen demonstrierbare Schönheit sein. Ich finde auch manche Sachen schön, die sind schon wieder häßlich, so häßlich, daß es schon wieder etwas hat. Es gibt sicher verschiedene Typen, die auf verschiedene Arten von Schönheit abfahren. Ich bin am ehesten ein visueller Typ. Ich gucke vor allen Dingen, ich habe Fotoaugen, ich nehme Bilder wahr. Wenn zum Beispiel bei meinen SchülerInnen ein Kind dabei ist, was mich als besonders schön anrührt, das kann ich mit Wonne anschauen. Einfach nur die Schönheit einer Person oder einer Sache genießen, ich muß das nicht besitzen oder haben wollen. Ich nehme es nur wahr, dieses Schöne, nehme es in mein Herz. Es ist Nahrung für mein Herz.

Du hast das Stichwort ” Melancholie “(mentale Fixierung) genannt, könntest Du das ein bißchen ausbauen?
Bis vor kurzem hätte ich gesagt, ich bin überhaupt nie melancholisch. Aber inzwischen – ich bin jetzt ca.10 Monate allein, ohne Beziehung – da kommen, wenn ich mich erinnere, so bittersüße Zustände, wo ich das Schöne erinnere, aber gleichzeitig das Gefühl, daß ich das verloren habe. Ich unterscheide das von so einem heftigen Trauerschmerz, den ich oft gehabt habe in meinem Leben, aber so das Süße, das kenne ich jetzt erst so richtig. Ein Freund, der vor vier Jahre von mir weggegangen ist, dem habe ich auch lange nachgeträumt. Wir haben keinen Kontakt gehabt während dieser Zeit, und da habe ich mir oft ausgemalt, wo er war. Ich wusste nicht, was er da erlebt, aber ich bin da in Gedanken hingegangen und habe geschaut, wie es ihm geht.

Sehnsucht?
Das war eine sehr melancholische Sehnsucht, weil ich nicht wußte, ob wir uns überhaupt je wiedersehen. Das Beschäftigtsein mit Abwesenden, die mir lieb sind, und bittersüße Gedanken an diese Menschen. Ich kann in Gedanken sehr stark konzentriert sein auf Menschen, die nicht da sind, das kann ich sehr gut. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass letztens meine liebste Freundin nicht hier in der Stadt war und ich aus Versehen verkehrt herum auf die Autobahn gefahren bin und es wäre die Richtung gewesen, wo sie wohnt, und da sind mir wirklich die Tränen in die Augen gestiegen und ich dachte “Mist, ich könnte die doch jetzt eigentlich besuchen fahren “, und das war ein ganz heftiges Gefühl von “ach, wärst Du doch jetzt da und ach, könnte ich Dich doch jetzt sprechen “.

Bittersüße melancholische Sehnsucht, das hat auch einen Reiz?
Einen Reiz ? Das hat einen Reiz, wobei ich mich davon relativ schnell zurückpfeife und denke: ” Das führt jetzt zu nichts “.

Und wie ist es, wenn Menschen, nach denen Du Dich gesehnt hast, dann da sind?
Dann wird der Fokus schwächer, dann können wir zwar punktuell einen ganz starken, intensiven Kontakt haben und auch eine Stunde telefonieren, aber es kann auch sein, daß wir eine Woche ohne Kontakt sind, obwohl sie so nah ist und obwohl ich im Prinzip jeden Tag einfach mal rüberfahren könnte.

Der Fokus wird stärker, wenn die Person weg ist?
Wenn sie überhaupt nicht erreichbar ist oder nur am Telefon oder nur durch Briefe. (Aufmerksamkeitsstil)

Wenn sie da ist, ist der Fokus nicht mehr so darauf?
Ja, es ist nicht so, daß diese Frau dann weniger wichtig wäre, aber meine Aufmerksamkeit geht dann stärker zu anderen Dingen.

Was bedeutet das Wort Neid (emotionale Fixierung) für Dich?
Es bedeutet für mich vor allem ein Ungleichgewicht der Wahrnehmung. Ich sehe jemanden oder etwas außerhalb von mir, der hat etwas, eine Qualität, die mir abgeht. Das Ungleichgewicht der Wahrnehmung besteht darin, daß ich diese Qualität vielleicht auch habe, aber sie nicht wahrnehme. Daß ich denke: ” Booh, wenn ich mal groß bin, dann möchte ich auch so sein, warum bin ich nur nicht so ? ” Früher habe ich Leute wahrgenommen, die entweder schöner waren oder interessanter als ich. Ich habe da ganz stark darauf fokussiert, schöne Frauen zum Beispiel, die irgendwelche äußeren Qualitäten hatten, die ich nicht so hatte. Oder auch Erfolg oder Beliebtheit, oder ein semiprofessionelles Können in einem meiner Hobbys, oder mehr erlebt zu haben als ich, darauf konnte ich ganz neidisch sein.

Fast eine Rückkehr zum Anfang : ich suche mir jemand Besonderen, aber dann leide ich darunter, daß sie hat oder zu haben scheint, was ich nicht zu haben scheine. Manchmal habe ich es tatsächlich nicht und manchmal habe ich es und es ginge darum, diesen Aspekt bei mir zu entdecken?
Es hat sich insofern verändert, als sich mein Neid heute oft auf etwas anderes richtet, auf Menschen, die entspannt und gelassen sind, die der Wirklichkeit mit ihrer Wahrnehmung nahezukommen scheinen, auch Menschen, die eine tiefe Menschenliebe haben. Das ist wichtig. Menschen, die von einer eigentlich ganz unromantischen Liebe erfüllt sind, die nichts Übersteigertes oder Exklusives hat, die einfach warmherzig und wohlwollend sind und das auch mit sich selber sind.

Irgendwie bleibst Du dabei einerseits in der Neiddynamik ” Sie haben etwas, was ich nicht habe “. Andererseits scheinst Du kurz davor, diese Qualitäten auch bei Dir anzuerkennen?
Ich sehe das auch so. Ich habe es mir ein bißchen zur Gewohnheit gemacht, wenn ich beginne zu denken: ” Booh, das ist aber eine tolle Eigenschaft “, dann fällt mir der Spruch ein: ” If You can spot it, You´ve got it ” ( wenn Du es irgendwo sehen kannst, dann trägst Du es auch in Dir ). Ich kann ja nur erkennen, was in mir einen antwortenden Teil hat, und es zeigt, daß da etwas bei mir ist, was auch entwickelt werden möchte.

Wenn wir gerade dabei sind: einer der höheren Aspekte der Nr. 4 ist Ausgeglichenheit, der andere ist Ursprünglichkeit. Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Ich glaube, ich habe beides schon erlebt. Ich habe allerdings sofort die Tendenz zu sagen: ” ….wenn auch nur ein bißchen ” und mich gleich in meiner Wahrnehmung zu reduzieren. Ich erlebe Ausgeglichenheit zum Beispiel darin, daß ich nicht mehr so viel auf mich beziehe, daß ich mich nicht so stark in den Augen der anderen spiegele, nicht mehr soviel schaue, wie mich der andere sieht und ob überhaupt, sondern daß ich in mir bleibe und gucke: ” Was sehe ich “. Oder auch,wenn ich mich dabei beobachte, daß ich mich gerade wieder in ein intensives Gefühl reinschraube, es mir so richtig herhole, dann schalte ich jetzt öfter um und sage zu mir: ” Das muß ich jetzt nicht haben, das muß ich mir jetzt nicht antun, es muß nicht so heftig sein “. Aber ich merke, die Versuchung ist immer wieder groß, es heftig und intensiv zu machen.

Du hast heute eine Wahlmöglichkeit, es nicht mehr so heftig zu machen?
Ja, sondern ( Ursprünglichkeit ) es da zu lassen, wo es ist, ein Gefühl zum Beispiel. Es gibt aber auch Momente, wo ich dem nachgebe, weil es so viel Spaß macht, es größer zu machen. Ich bin zum Beispiel letztens auf dem Weg zur Arbeit an einem blühenden Busch vorbeigekommen. Da waren ganz unscheinbare kleine Blütchen dran. Die haben aber so prall und sonnig ausgesehen, da bin ich ganz nahe rangegangen und habe daran gerochen, und dann wird das auf einmal so ein Multimediaerlebnis, dann höre ich noch gleichzeitig die Vögel singen und sehe noch diese Blume vor mir, sehe die Sonne auf der Blume und dann fällt mir dazu noch ein Chor aus der “Schöpfung” von Haydn ein : “Denn er hat Himmel und Erde bekleidet in herrlicher Pracht”. Dann weiß ich genau, ich hab´s jetzt übersteigert, aber schön war´s trotzdem.

Bei der unscheinbaren Blüte, die ihre eigene Schönheit hat, nahm das seinen Ursprung. Und natürlich macht es Spaß, alles zu intensivieren, aufzuweiten, größer zu machen, aber es gibt auch die Sehnsucht, es zu belassen, wo es ist, Deine Wahrnehmung möglichst nah am Hier und Jetzt zu belassen. Ist es das, was mit Ursprünglichkeit gemeint ist?
Dieser Busch ist ja voll mit diesen kleinen unscheinbaren Blüten und für meinen Schönheitssinn müßten es ja gar nicht so viele sein. Ich sehe auf einmal, welche verschwenderische Fülle da vor mir liegt und dann stehe ich davor und denke :”Das ist Reichtum”. Wenn es mir unmittelbar einleuchtet, wie reich ich bin oder wie reich meine Umgebung ist, das erlebe ich dann als ursprünglich, nicht als aufgeblasen, da komme ich überhaupt erst einmal an die Wirklichkeit heran. Meine sonstige Wirklichkeit ist ja eher von Mangel beherrscht, von dem was gerade wieder fehlt.

Und in Deinem Beispiel kehrst Du zurück von der Welt des Mangels oder des künstlich hergestellten, übersteigerten Überflusses in den Reichtum der Wirklichkeit. Weder fehlt etwas noch muss etwas aufgeweitet werden, weil es eigentlich fehlt, denn es ist bereits genügend da?
Ja, genau. Ich mache immer wieder die Erfahrung, wenn ich wirklich im Hier und Jetzt bin, dann ist das Hier und Jetzt so reich, daß es reicht. Es ist mehr als genug.

Und kannst Du dann auch sagen “Ich reiche aus”?
Ich bin genug ? Das ist die höchste Seeligkeit. Dieser Moment, gerade in Situationen, wo ich versuche, mit Gewalt eine Meßlatte zu erreichen, die über dem liegt, wo ich wirklich bin, wenn ich da sagen kann, das mußt Du jetzt nicht, Du reichst, Du bist auch so gut genug, das ist absolute Seeligkeit.

Wie bist du in Partnerschaft und wie geht man gut mit Dir um?
Meine Aufmerksamkeit geht sehr stark auf die emotionale Verbindung. Wenn ein Partner statt auf mich auf etwas anderes, zum Beispiel auf eine Aufgabe fokussiert ist, bin ich immer in Versuchung zu denken : ” Ich bin jetzt nicht wichtig “. Sobald der andere auf etwas anderes fokussiert und damit beschäftigt ist und dazu Gesichter macht, die ich nicht ganz deuten kann, dann liegt die Versuchung nahe zu denken: ” Hab ich was falsch gemacht ? Bin ich nicht gut genug ?” Ich glaube, sehr unbewußt habe ich dann versucht, die Aufmerksamkeit der anderen Person wieder zurückzuholen und irgendwie das Gefühl zu erzeugen,der andere ist mit mir einverstanden. Das Gefühl mußte ich haben, dann war alles OK.

Was hast Du gemacht, um die andere Person zurückzuholen?
Sehr intensiv werden im Ausdruck. Dinge, die ich zu sagen habe, besonders intensiv sagen, sodaß der Andere sich nicht entziehen kann. Ich glaube, das ist meine Masche. Mit einem Fünferpartner, wenn der sich gerade zurückziehen will und ich noch intensiver werde, führt das natürlich zur Katastrophe. Ich baue das langsam ab, es beginnt mir mehr Spaß zu machen, zusammen mit einem Partner über etwas nachzudenken oder zu planen, mich auf die Sache zu konzentrieren und mich ein bißchen rauszunehmen. Das ist für mich eher eine ungewohnte Perspektive, wiewohl schön. Es macht Spaß.

Wie geht man gut mit Euch um? Die Ratschläge zur Pflege des Viererhamsters?
In solcher Situation, wo ich Deine Aufmerksamkeit will und intensiv werde und eine gute Show hinlege und gleichzeitig merke, das bringt´s bei Dir nicht, dann wäre es gut, wenn Du sagen würdest: ” Ich merke, dass Du gerade viel Aufmerksamkeit von mir haben möchtest, aber ich bin im Moment eigentlich ganz woanders. Können wir das vertagen ?” Und dann machen wir einen Zeitpunkt aus. Dadurch fühle ich mich nicht abgelehnt, sondern gesehen in dem, was ich will. Außerdem grenzt der andere sich dadurch ab und macht, daß ich ihn und seine Bedürfnisse deutlicher sehe. Es entlastet mich davon, rauskriegen zu müssen, was jetzt eigentlich hier los ist und zu denken, daß irgendetwas an mir nicht stimmt.

Eine Therapeutin hat mir mal gesagt : “He, hör mir bitte zu und nimm mich ernst”. Es ist ganz wichtig, dass jemand sagt: “Ich möchte von Dir ernst genommen werden”. Wenn ich nur mit mir beschäftigt bin, von meiner Leidenschaft geritten, und meine Tunnelwahrnehmung von der Situation habe, und mein Gegenüber sagt : “Ich nehme das aber anders wahr”, das hilft mir sehr, da raus zu kommen. Das geht manchmal nicht ohne Schmerz ab, weil das auch das Gefühl produziert, abgelehnt zu werden mit meiner Wahrnehmung. Da bin ich schnell dabei, mich abgelehnt zu fühlen. Da ist es mitunter dann hilfreich zu sagen: “Das hat mit unserer Beziehung nichts zu tun.”

“Es ist nichts falsch an Dir, aber nimm mich wahr und nimm wahr, daß ich die Dinge anders sehe”, das scheint hilfreich. Aber wie ist Deine Wahrnehmung manchmal “tunnelig”? Meine Annahme über Vieren ist, dass Eure Wahrnehmung oft um Euch selbst kreist und die Aussenwelt nur eine geringe Rolle spielt, ist das so?
Ja, das ist so. Vor allem bei Situationen des Verlassenwerdens, oder bei der Abwesenheit von Freunden, bei allem, was intensive Gefühle produziert, da kann ich mich über Gebühr lange aufhalten, und anderen damit wahnsinnig auf die Nerven fallen, weil ich dann nichts mehr wahrnehme außer diesen heftigen Gefühlen.

Was wäre noch hilfreich?
Grundsätzlich in jeder konflikthaltigen Situation rüberbringen ” Ich hab´ dich noch lieb, Du bist noch auf dem Schiff, wir fechten das hier aus. “Es reicht eine Geste.Das ist wichtig als Rückversicherung. Was mir sonst noch geholfen hat, war , wenn mir jemand gesagt hat: ” Ich brauche von Dir, daß du verläßlich bist.” Ich war oft unverbindlich auf eine blöde Weise und ich denke, dass ich immer noch die Tendenz dazu habe. Auf Verlässlichkeit bestehen ist deshalb so wichtig, weil da einerseits drinsteckt. ” Du bist für mich so wichtig, dass ich das brauche ” aber auch ” Ich bin mir das wert, dass ich das einhalte “.

Was ist der Hintergrund der Unverbindlichkeit?
Ich bin früher sehr stark nach Impulsen gegangen,ein bißchen wie die Nr. 7 :” Das ist interessant und dann dies noch und jenes noch ” , und dann habe ich Sachen schleifenlassen. Ich habe auch Menschen eher benutzt. Der Satz traf zu “I love what You make me feel”: die Gefühle, die Du in mir auslöst, finde ich toll, aber Du als Person bist nicht so entscheidend. Außerdem habe ich mich gar nicht ernst genommen. Dass ich jemand sein könnte, der für einen Menschen wirklich wichtig ist, habe ich mir früher nicht zugetraut. Das ist doch eigentlich niemandem wichtig, ob es mich gibt, ob ich da bin oder nicht.

Welche weitere Entwicklungshinweise hast Du für Vieren?
Menschen haben mir geholfen zu erkennen: der andere Mensch ist wichtig, als der, der er ist und nicht als das, was er mich fühlen macht und ich entwickle sehr viel mehr Selbstachtung und sehr viel mehr Achtung für andere und für das Anderssein der anderen.

Außerdem ist es hilfreich, etwas wirklich Wichtiges zu machen: ” Hier ist die Aufgabe und die muss getan werde, gut getan werden, es interessiert mich überhaupt nicht, wie es mir dabei geht, nur das Ding zählt ( Sicherheitspunkt Nr. 1 ), ich stehe nicht so sehr im Vordergrund.

Das wichtigste für mich ist, zu merken, wann ich eine reale, aktuelle Situation innerlich verlasse und ich in mein Kopfkino gehe. Dann kann ich anhalten, mich hinsetzen, tief durchatmen, und in dem Moment läßt der innere Druck nach. Ich konzentriere mich auf meine körperlichen Wahrnehmungen und auf das, was ich mit allen 5 Sinnen um mich herum wahrnehme. Dann merke ich erst, wie es mir wirklich geht, was ich jetzt bräuchte oder was ich in dieser Situation vernünftigerweise tun oder lassen kann ( lassen ist meistens das Beste ). Damit verlagert sich meine Selbstwahrnehmung vom Mangel, von der Tragik, vom Opfersein zu der Erkenntnis, daß ich die Wahl habe, etwas Sinnvolles zu tun und mir selbst und anderen nicht zu schaden. Dann richte ich meine Aufmerksamkeit bewußt auf alles, was gut tut und wofür ich dankbar bin. Von dem, worauf es mir ankommt, habe ich fast immer genug.